30 Minuten des Grauens: Internetausfall ...

30 Minuten des Grauens: Internetausfall in Berlin

Aug 27, 2022

Ohne Internet...
Offline, genau wie früher.

Fluch oder Segen?

Es ist tatsächlich passiert. Mitten am Tag, zur besten Arbeitszeit. Das unvorstellbare Grauen, ein nicht enden wollendes Zittern und Bangen oder um es mit den Worten eines aufmerksamkeitsheischenden Bildreporters auszudrücken, der Super-Größte Anzunehmende Unfall (für alle, die Super-GAU mal ausgeschrieben sehen wollten): In Berlin-Friedenau fiel für geschlagene 30 (in Worten: dreißig! ) Minuten das Internet aus.

Es geschah am 26. August 2022 um 17:05 Uhr. Draußen stürmte, blitzte und donnerte es bedrohlich vor sich hin – also ideales Ambiente für die Arbeit am PC. Ich saß in Gedanken versunken auf die Tastatur starrend vor dem Rechner und versuchte mir aus der Datenfülle der geöffneten Exceltabelle einen Reim zu machen. Um des Verständnisses Willen wollte ich kurz etwas googlen, als ich merkte, dass das nicht funktionierte.

Hm. Ein kurzer Blick auf den Router zeigte kein unnatürliches Verhalten. Alle Lämpchen leuchteten brav, die leuchten sollten und alle anderen waren aus wie sonst auch.

Hmm. Der Raum wurde schlagartig in gleißend helles Licht getaucht, dicht gefolgt vom Geräusch, welches das Schlagzeug auf Metallicas "St. Anger"-Album macht (für alle Uneingeweihten – eine Blechtonne, die ordentlich getreten wird), was mir wieder in Erinnerung rief, das draußen gerade die Welt unterging.

Hmmm. Ein nervöser Klick auf eine andere Seite zeigte das gleiche Bild. Das Internet versuchte zu laden, tat es aber nicht. Mein treuer Freund und ewiger Begleiter, Fritz Box, betrog mich offenbar. Von wegen, alles sei im Grünen Bereich. Wenn du sagst, ich habe Internet, dann gib mir Internet!

Die ersten Schweißperlen manifestierten sich auf der Stirn. Nach den ersten fünf Minuten lähmender Schockstarre wies ich mich an zu denken. Was konnte man denn alles noch an Arbeit erledigen ohne Internet? Der Großteil meiner Tätigkeit baut darauf auf. Die meisten Dokumente, Vorgänge und Aktionen finden online statt. Nicht einmal meine Arbeitszeit konnte ich aus der digitalen Liste austragen, geschweige denn, den Ausfall online melden! Panik machte sich breit!

Ich war abgeschnitten von der Außenwelt! Vollkommen auf mich allein gestellt. Naja, nicht ganz, Frau und Kind waren ja auch noch da. Die liebe Gattin bemängelte, dass sie nicht einmal die Fotos bei Google Drive aussortieren könnte in der Zeit und das Kind lies mich einfach stehen und düste mit seiner Lauflernhilfe gegen die nächste Tür. Von hier konnte ich also keine Hilfe erwarten.

Entkräftet und machtlos setzte ich mich hin. Was macht man denn in so einem Fall? Die Antwort kam mir zwar sofort in den Sinn, denn ein Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass das Mobilfunknetz einwandfrei funktionierte, aber das wollte ich jetzt nicht wissen. Ich genoss den Nervenkitzel des Unbekannten, in einer überwiegend digitalen Arbeitswelt plötzlich Weg vom Fenster zu sein.

Dabei ist das mit dem Internet in Deutschland ohnehin so eine Sache. Während eine Politikerin, die von der Materie keine Ahnung hat, lauthals behauptet, wir bräuchten kein 5G an jeder Milchkanne und eine andere genauso bezugsfremde Person für alle das Internet zum Neuland erklärt, gibt es auch in Deutschland Menschen allen Alters, die sich auf das Internet verlassen. Erst kürzlich in Italien erlebte ich wieder, wie schön es doch war, mit dem Zug fahren und dabei kostenlos surfen zu können – in Deutschland entweder gar nicht oder nur gegen ein Schweineaufpreis möglich. In Lecco am Comer See gibt es an mehreren Orten von der Stadt aus kostenloses WLAN. Auch auf Mallorca hatte ich das Vergnügen in einem Bergdorf mitten im Nirgendwo von der Regierung aus Gratis-WLAN nutzen zu dürfen.

Die paar Hotspots in Berlin kann man an einer Hand abzählen und die meisten davon fordern einen nach spätestens einer Stunde auf, zu zahlen. Und das ist nur das Mobilfunknetz. Festnetz ist hierzulande so beschränkt ausgebaut, dass die Telekom selbst heutzutage noch Glasfaserkabel als "die Zukunft des Internets" anpreisen und sich als Wegbereiter positionieren kann. in vielen Ländern um uns herum ist Glasfaserkabel längst der Standard und kostenloses WLAN vielerorts verfügbar. Zu Hause surft man dort bequem mit Datenraten jenseits der 100GB/s für schmales Geld. In Berlin kann ich der U-Bahn kein Youtube-Video durchgängig schauen und um 100GB herunterzuladen muss ich den halben Tag warten.

So saß ich also da und war plötzlich ein Netzloser. Ein Ausgestoßener. Abgeschnitten von der Zivilisation und allem, was mich interessierte. Ich kam mir vor wie ein Höhlenmensch, dem die Kohle ausgegangen war, um an die Wand zu kritzeln. Woher sollte die Nachwelt nun erfahren, was ich Tolles zum Mittag erlegt hatte? Ich gehöre der digitalen Generation an, bin mit den Anfängen zu Zeiten des 56k-Modems groß geworden und verstehe die Bedeutung des Satzes: "Leg den Hörer auf, Papa muss ins Internet!"

Das Internet umgibt uns heutzutage bereits viel mehr, als man denkt. Viele Menschen besitzen das digitale Abhörgerät Alexa oder eines der anderen personalisierten Überwachungssysteme, die man sich ins Zimmer stellt, um ihm Anweisungen zu geben. Smarthomes sind heutzutage auch in Deutschland auf dem, sehr langsamen, Vormarsch. Ohne Internet – keine Heizung. Ohne Internet – kein Zocken, denn viele Spiele sind nur noch online verfügbar. Die neusten Konsolen kommen wahlweise ohne Laufwerk und oft wird eine aktive Internetverbindung aus Kopierschutzgründen gefordert. Ohne Internet gibt es bald auch kein Fernsehen mehr, denn die alten Übertragungssysteme werden Schritt für Schritt abgeschafft.

Ich will nicht sagen, dass ich mich davon abhängig fühle. Aber es hat mich aufgeschreckt und nachdenken lassen. Macht doch einfach mal den Selbsttest. Wie viele euer täglichen Aktionen könntet ihr ohne Internetzugang aktuell durchführen? Könnt ihr noch herkömmliche Karten lesen, um von A nach B zu kommen? Womit könntet ihr euch in eurer Freizeit beschäftigen? Was könntet ihr alles auf euer Arbeit oder zu Hause ohne Internet nicht tun?

Schreibt mir eure Gedanken dazu gerne in die Kommentare. Ich bin gespannt auf eure Antworten :-)

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