Superkompensation: Mythos oder wichtiges ...

Superkompensation: Mythos oder wichtiges Modell zur Trainingsplanung?

Nov 17, 2022


Wenn über Trainingsanpassungen und Trainingserfolge gesprochen wird, ist oft das Superkompensationsmodell ein Erklärungsmodell für Trainingsanpassungen. Auch in der Trainerausbildung von Sportverbänden und sogar in Lehrbüchern zur Trainingslehre wird diese modellhafte Vorstellung genutzt, um Trainingsanpassungen zu erklären. Die Kritik am Superkompensationsmodell ist dabei keineswegs neu (1). Es zeigt sich aber auch, dass ein flexibles und modernes Konzept zum Erklären von Trainingsanpassungen noch ganz am Anfang steht. Ein radikales Umdenken in Bezug auf Periodisierung und Planungsgrundlagen scheint ratsam zu sein!

Auf einen Blick

Fehlerquellen im Training durch mechanistische Denkmodelle

Wir Ihr Trainingsinhalt Ihren Trainingsplan beeinflusst

Moderne Denkweisen für optimales Training

Die Dosis macht das Gift. Diese einfache Regel gilt nicht nur für Arsen und andere in der Medizin eingesetzte Substanzen. Nein, auch Ihr Training muss wohl dosiert geplant sein, wenn Sie Ihre Leistung langfristig steigern wollen, ohne Überlastungen zu riskieren. Unerklärliche Rückschritte in Ihrer Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Motivationsprobleme können Hinweise auf ein „Zuviel“ an Training sein.

Modelle reduzieren immer!

Der Menschliche Körper ist sehr komplex. Viele biochemische Reaktionen dienen als Katalysatoren für Veränderungen und Anpassungen. In der Geschichte der Medizin wurden viele vereinfachende Modelle erstellt, mit denen die Prozesse im menschlichen Organismus erklärt werden sollten. Schon um 1930 wurde der Begriff der Homöstase geprägt, der das „Konstanthalten“ physiologischer Kenngrößen durch Körpereigene Regelsysteme beschreiben soll. Bis heute bilden diese Vorstellungen die Grundlagen zum Verständnis von Training. Allerdings zeigen schon Alltagsbeobachtungen, dass im menschlichen Körper keineswegs konstante Bedingungen herrschen. Weder die Atmung noch die Körpertemperatur sind konstante Kenngrößen, sondern nichtlineare Systeme, die in hohem Maße variabel, aber keineswegs konstant sind. So zeigt sich, dass Grundannahmen zu einem Fließgleichgewicht“, mit den realen Anpassungen nicht anhand der „Superkompensation“ erklärt werden können, da sie, nur auf einen Teil der Systeme im menschlichen Körper zutrifft (1).

Ist Training dosierbar?

Zu den Kernproblemen der Trainingslehre gehören die Fragen nach den Umfängen und den Intensitäten im Training. Trainieren Sie „zu wenig“ oder vielleicht „zu viel“? Antworten auf diese Fragen werden oft viel zu pauschal gegeben (2). Genau diese Antworten werden aber von Sportlern und Trainern erwartet (2). Dabei wird oftmals ignoriert, dass es beim Training keine Rezepte geben kann, die sich als feste Regel für die Planung auf alle Sportler übertragen lassen. Zu individuell sind die körperlichen Voraussetzungen und auch die Anpassungsressourcen. Ihr optimales Training ist so einzigartig wie Ihr persönlicher Fingerabdruck. Genau diese Annahme wird jedoch vom Superkompensationsmodell nicht berücksichtigt. Die Erfolgsformel lässt sich in der Sportpraxis nicht aus dem Training eines anderen Sportlers ableiten. Sie müssen es sich vielmehr für sich und Ihre Sportler erarbeiten und mit Ihrem Körper experimentieren. Coaching is Art.

Super die Superkompensation?

Eine Publikationsreihe von Roux (3) bildet die Grundlage für das Verständnis zu den Anpassungen des menschlichen Körpers. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Werk, sondern um eine Reihe verschiedener Publikationen aus den Jahren 1894 - 1905, die sich mit der „Entwicklungsmechanik“ von Organismen beschäftigten. Oftmals wird seine Arbeit als Grundlage für Jakowlevs übertrag auf die Anpassungen durch Training verkürzt dargestellt. Jakowlev entwarf auf Basis von Untersuchungen zu einem Enzym im Kohlenhydratstoffwechsels von Ratten ein experimentell überprüftes Modell für Trainingsanpassungen (1). Diese Modell beschreibt in Kurvenbewegungen den optimalen Zeitpunkt für neue Trainingsreize und eine darauf basierende Leistungsentwickling (2). Betrachtet man das Superkompensationsprinzip genauer, können Anpassungen an Training so im Kern nicht beschrieben werden. Da dieses Modell im Zeitverlauf Stationarität konstante Verläufe und Stationarität beschreibt, sind konstante und in festen Zeiträumen ablaufende Anpassungen eine Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells. Konstanz in biologischen Systemen gibt es jedoch erst zum Zeitpunkt des Todes. Leben ist geprägt von Variabilität, Abweichung und Sprüngen ohne jede Konstanz. Da die Vorstellung von Homöostase mit der Wirklichkeit menschlichen Sporttreibens nicht in Einklang zu bringen ist, kann Superkompensation nicht beschreiben, wie sich Ihre Leistung durch Training verändert.

Ein Modell bleibt ein Modell!

Grundlegend muss dem Superkompensationsmodell jedoch in Bezug auf die Sportwissenschaft ein Nutzen zugestanden werden: Auf der Ebene von Simulationen zu Belastungsgrenzen lieferte es wertvolle mathematisch-biologische Hinweise für die Ausgangsüberlegungen. Allerdings wird das Verständnis vom Superkompensationsprinzip vollständig falsch dargestellt, wenn die genormte Zeitachse auf die Realität übertragen wird. Eine lineare Leistungsentwicklung anzunehmen oder zu extrapolieren, geht an der Realität vorbei! Die Planungslogik, die hinter den Modellhaften Annahmen steht, hat für das Training Ihrer Athleten keiner Bedeutung. Wenn ein Trainer versucht, anhand der beschriebenen Annahmen Ihr Training planen, spielt dieses Modell keine Rolle, denn sich die Parameter der Planung und der Reaktion des Körpers von Mensch zu Mensch unterscheiden. Zu viele verschiedene Ereignisse und Herausforderungen können jede Planung auf den Kopfstellen.

Training bestimmt das Training!

Die Vorstellung, dass Trainingsinhalte anhand des Superkompensationsmodells und der zu Grunde liegenden Annahmen der „Entwicklungsmechanik“ planbar wären, ist falsch. Zu viele Faktoren beeinflussen sich gegenseitig! Kraft, Ausdauer und Koordination passen sich in unterschiedlichen zeitlichen Verläufen an und interagieren untereinander. Neuronale Strukturen, muskuläre Strukturen, Enzyme oder Faktoren der Energiebereitstellung, Ihre Muskelfaserverteilung - all das sind gewichtige Faktoren, die bei der Trainingsplanung als Einflussgrößen bekannt sind. Letztendlich beeinflusst ein Training, dass heute durchgeführt wird, das geplante Training von morgen und übermorgen. Langfristige Verläufe sind modellhaft kaum abbildbar. Das gilt auch für vermeintlich die Leistungsfähigkeit darstellende Größen wir der Trainingsstressscore (TSS).

Training wird bestimmt durch Unsicherheiten

Wenn Sie versuchen Training zu planen, werden Ihnen schnell viele offene Fragen begegnen. Umfänge und Intensitäten sind auf den Trainingszustand der Athleten und deren Trainingsziel abzustimmen. Verschiedene Trainingsmethoden können identische Trainingsanpassungen auslösen. Beispielsweise kann der aerobe Fettstoffwechsel über rein aerobes Training in der Dauermethode, ebenso wie über ein hochintensives Intervalltraining gesteigert werden. Wenn das Ziel der Start bei einem Langdistanz-Triathlon sein sollte, sind lange lockere Läufe wesentlich wichtiger als bei einem Athleten im Olympischen Triathlon.

Die qualitative Trainingslehre als Erklärungshilfe

Es kann im Training kein Kochrezept für den bestmöglichen Erfolg geben. Ihr Training ist immer individueller Prozess, in den auch die Kreativität des Trainers und der Kommunikationsprozess einfließen. Grundlegend ist vor diesem Hintergrund zunächst Frage nach dem Trainingsmotiv zu stellen. Die optimale Dosierung der unterschiedlichen Trainingsinhalte ist eng an das persönliches Trainingskonzept eines Trainers zu verstehen (2)! Allerdings muss man sich auch der Tatsache bewusst sein, dass der Ausgang einer Trainingsphase Unsicherheiten birgt. Aus diesem Grund ist das Führen eines (digitalen) Trainingstagebuches so wichtig. Dort lässt sich das subjektive Gefühl und die objektiven Trainingsdaten abgeglichen werden. War der Athlet besonders müde oder hat er/sie sich sehr gut gefühlt. Wie hoch war die Alltagsbelastung? All diese Informationen werden im Training viel zu oft viel zu wenig beachtet. Sie liefern jedoch wertvolle Informationen für den Trainer. Training ist in diesem Zusammenhang immer auch ein Kommunikationsprozess!

Fazit

Die physiologischen Abläufe des menschlichen Körpers können nur unzureichend mit dem Begriff der Superkompensation beschrieben werden. Das Denken zu den physiologischen Vorgängen darf nicht in ein Korsett geschnürt werden, dass fernab der Realität den Blick des Trainers verengt. Sport und Training und die daraus resultierenden Veränderungen sind komplex und können nicht mit mechanistischen Modellen beschrieben werden. Für die Sportpraxis sollte das Superkompensationsmodell nicht mehr dazu genutzt werden, um Anpassungsmechanismen zu beschreiben, da sie in die Irre führen und die Komplexität des Trainings nicht annähernd beschreiben können. Die Variablen, die Training beeinflussen, schwingen teilweise chaotisch und beeinflussen sich gegenseitig. Anpassungen auf neuronaler, muskulärer und des Energiestoffwechsels laufen nicht in einem gleichbleibenden Rhythmus ab. Dazu kommt, dass auch die Regeneration nach einer Belastung je nach Belastungskonfiguration asynchron über verschieden lange Zeiträume andauert. Zwar sind Energiespeicher schnell wieder gefüllt, aber Ihre neuronalen Strukturen benötigen eine sehr lange Zeit, um wieder den Normalzustand zu erreichen.

Das Limit der Trainingslehre: eine persönliche Trainingskonzeptionen anstelle eines Superkompensationsmodells ist das Motto für eine individualisierte Herangehensweise an Trainingsprozesse.

Euer Dennis Sandig (Ursprünglich verfasst für "Sport & Training aktuell", überarbeitete Version.

Tipps für TrainerInnen

•Planen Sie Training individuell

•Modelle und Rahmenvorgaben können Sicherheit vortäuschen

•Hören Sie auf die Signale des Körpers

•Trainer sollten Wert auf eine regelmäßige subjektive Rückmeldung der Sportler legen

•Planen Sie Training anhand physiologrundlagen unter Berücksichtigung von Kommunikation, Didaktik und methodischen Reihen und nicht anhand von vereinfachenden Modellen

Literatur

1 Sport und Training aktuell, 2009, (9), S. 6-7.

2 Condition, 2002, (5). S. 34-35.

3 Roux, W. (Hg.): Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik der Organismen. Leipzig 1905.

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